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![]() ![]() SchibilAn der Pforte stand Rada, Volkslied
Schibil, der gefürchtete Heiduckenhauptmann, den die Schergen hinter jedem Busch und Stein suchten, stieg von den Bergen herab, um sich auszuliefern. Morgen schon würde sich die Kunde überall verbreiten, aber wer würde es glauben? Das kümmerte Schibil wenig. Er schritt rasch aus, er dachte an etwas anderes. Er dachte daran, wie er vor ein paar Monaten von den Blauen Steinen aus, wo hoch droben zwischen den Adlerhorsten sein Heiduckennest war, einige Frauen gesehen hatte, die des Weges kamen. Es war bei den Heiducken* nicht üblich, Frauen zu behelligen - in ihren Herzen gab es keinen Raum für sie. Aber Schibil hatte manches Gesetz übertreten und scherte sich nicht mehr um das, was erlaubt oder unerlaubt war. Frauen, dachte er, hier in den Teufelsfelsen - auch eine gut Beute und unbekümmert, wohin seine Neugier ihn trieb, brach er auf. Seine Gesellen folgten ihm, sie lachten, und ihre Zähne blitzten wie die Zähne hungriger Wölfe. Sie zogen durch den Wald, der noch nicht belaubt war, und kamen auf den Weg zwischen den Teufelsfelsen. Es war ein berüchtigter Ort: Die Straße senkte sich, wand sich durch das Tal und bildete zwei Bogen, Schlingen einer Falle, in der schon mancher den Tod gefunden hatte. Wie immer, versperrten die Heiducken auch jetzt an dieser Stelle den Weg. Da standen sie, furchterregend, in schwarze Arnautenkapuzen gehüllt, in Waffen starrend. Als die Frauen an der Wegbiegung auftauchten und die Heiducken erblickten, blieben sie zunächst wie versteinert stehen; dann versuchten sie zu fliehen, den Berg hinauf, den Berg hinunter, aber ihre Füße trugen sie nicht; sie liefen verwirrt im Kreis, wie angeschossene Vögel. Von Entsetzen gelähmt, warfen sie sich schließlich auf die Erde nieder und begannen zu weinen. Das rührte die Heiducken nicht; sie sahen die Unglücklichen nicht einmal an; denn ihre Aufmerksamkeit wurde von etwas anderem gefesselt: Mitten auf der Straße stand ein Weib, jung und schön! Sie war prächtig angetan: ein blaues Atlaskleid, ein Mieder aus roter Seide, eine bunte Jerusalemer Schürze, silberne Schnallen und ein schwerer Halsschmuck - drei Schnüre großer und kleiner Goldmünzen. Wohin wollte sie in diesem Staat? Zu einer Hochzeit? War der Vater von Sinnen, daß er sie allein in die Berge hatte ziehen lassen? Schibil trat ein paar Schritte vor, das Mädchen blickte ihn ruhig an, sah ihm gerade in die Augen. Eine senkrechte Falte stand zwischen ihren fein geschwungenen Brauen, die roten Lippen zuckten. "He, ihr!" rief sie, und ihre zarte Stimme hob sich sonderbar aus dem Jammern der Frauen heraus. "Geht eures Weges und laßt uns in Ruh, denn sonst...! Schämt ihr euch nicht? Was wollt ihr von uns?" Bei diesen Worten stürzten die Heiducken, die kein Auge von dem Halsschmuck wandten, auf sie zu und streckten die sehnigen Arme nach ihr aus. Schibil aber hob die Hand und wehrte ihnen. Dann wandte er sich um, richtete sich zu seiner vollen Größe auf, und sein Blick schätzte das Mädchen von oben her ab. Was für ein feines, weißes Gesicht! Gertenschlank, der Rock weit und faltenreich, wie bei einer Puppe. Und wie mutig sie war! Schibils Augen blitzten belustigt, es drängte ihn zu lachen. Doch das Mädchen kam ihm zuvor und lachte hell auf. Dabei strahlte ihr Gesicht, sie wurde noch schöner. Nun konnte man sehen, daß ihre Augen blau und ihre Zähne weiß waren. Erstaunt starrte der Heiduck sie an. Was war das für ein Wesen? Wie all das geschah, was sich später zutrug, hätte Schibil nicht zu sagen vermocht. Die Frauen hatten sich von dem ersten Schrecken erholt und kamen näher, wenn auch zitternd, wie furchtsame Rehe. Da war es, als würden die Berge auf einmal hell, unten im Tal hörte man den Bach rauschen, im Walde ließ sich ein Vogel vernehmen. Schibil setzte sich auf einen Stein und lauschte lächelnd dem Geplauder des Mädchens. Was redete sie eigentlich? Gott weiß was - belanglose Dinge, die man leicht vergißt. Aber wie leuchteten ihre Augen, und wie wohl tat es, sie anzuschauen! Etwas abseits, wie durch ein Wunder besänftigt, saßen die Heiducken und rauchten schweigend. "Du bist also die Tochter des Schulzen Weliko?" sprach Schibil. "Und Rada heißt du, nicht wahr? Wie konnte dein Vater dich nur hierher lassen? Und so aufgeputzt, mit den drei Schnüren Dukaten! Die nehme ich mir!" "Was, nehmen willst du sie? Statt mir noch welche zu schenken, da ich bloß so wenige habe? Aber halt, was ist das?" rief sie und zeigte mit der Hand. "Dein Ärmel ist ja zerrissen! Wart, ich will dir das nähen." Schibil schaute seinen Arm an, der auf dem Flintenlaut ruhte - tatsächlich, das rote Tuch war zerrissen. Und während er sich noch fragte, ob sie scherzte oder nicht, sah er das Mädchen dicht vor sich, sah den Flaum auf ihrem weißen Gesicht, ihren roten Mund. Als sie ihn anblickte, übergossen ihn ihre Augen mit weichem, sanftem Licht. Sie lächelte, schaute ihn schelmisch an, nestelte an dem zerrissenen Ärmel und hielt Nadel und Faden zwischen den Lippen. "Halt still!" schalt sie ihn. "Ich fange jetzt an! Und steck dir was in den Mund, damit ich dir den Verstand nicht zunähe - wenn du überhaupt einen hast!" Alle lachten. "Höre", fuhr Rada fort, "du solltest heiraten, damit du jemanden hast, der dir die Kleider flickt, damit du nicht mehr so zerlumpt umherläufst wie..." "Wie was?" "Wie ein Zigeuner!" Schibil runzelte die Stirn. Die Frauen wechselten furchtsame Blicke. "Heiraten?" brummte er. "Die Mädchen wollen mich ja nicht!" "Unsinn, sie werden dich schon wollen! So einen Burschen!" "Na, dann nimm du mich doch!" "Ich? Ach nein! So einen... Durch das Tal flieht's, den Bundschuh schnürt's - was ist das? - ein Heiduck. Nein, nein, einen Heiducken will ich nicht." Wieder runzelte Schibil die Stirn. Rada sah die flehenden Augen der Frauen und verbesserte sich rasch: "Na ja, ich würde dich schon nehmen! Aber erst mußt du den Vater fragen!" Nach einer Weile fügte sie hinzu: "Und den Hauptmann Murad auch...! So, fertig! Siehst du, wie ich das genäht habe?" Sie ließ den Ärmel los. "Auf daß du den Rock weiter gesund und munter trägst und an mich denkst." Schibil sah sie an und lachte. Sie plauderten noch ein wenig miteinander, dann brachen die Frauen auf. Schibil gab ihnen das Geleit bis dorthin, wo der Wald endete und die Ebene begann. Als das geschah, war es Frühling. In den Tälern zeigte sich schon frisches Buchenlaub, die anderen Laubbäume hatten erst Knospen. Schibil kehrte in die Berge zurück und lächelte noch immer. Die Heiducken folgten ihm. Sie blickten zu Boden und schwiegen. Ein Rabe flog über sie hin und krächzte - ein böses Zeichen! Schibil achtete nicht darauf, aber die Heiducken scharten sich flüsternd zusammen. Ein Weib war ihnen über den Weg gelaufen, ein schönes Weib; das bedeutete nichts Gutes. Die Zeit verging, es wurde wärmer, die wilden Pflaumen blühten, die Birnbäume schlugen aus, und eines Tages rief in der lauen Luft und im Sonnenschein zum erstenmal wieder der Kuckuck. Nach altem Brauch begann Schibil zu zählen, wie viele Jahre er noch vor sich habe, dann aber dachte er an sein bisheriges Leben, und ihn dünkte, daß er schon alt sei. Rada fiel ihm ein, er lächelte. Was für ein sonderbares Geschöpf, ging es ihm durch den Sinn, Weib, Kind und Teufel! Und wie gut ihr alles steht! Sagt sie was, so ist es klug; tut sie was, so ist es schön! Und er sah sie vor sich, wie sie die Nadel und den Faden zwischen den Lippen hielt, ihn anschaute und lächelte. Nicht nur eine Nadel, dachte er und seufzte, einen Dolch könnte sie so im Mund halten, und man ließe sich gern mit dem Dolch umbringen. In diesen Tagen kamen Kaufleute des Weges, und die Heiducken umzingelten sie. Erschrocken, leichenblaß hielten die Überfallenen sich kaum auf den Sätteln ihrer Pferde und warteten zitternd, was Schibil sagen würde. Doch weder hieß er sie die Quersäcke öffnen, noch durchsuchte er ihre Geldkatzen. Er redete über dies und das, erwähnte wie von ungefähr den Schulzen Weliko und kam schließlich auf Rada zu sprechen. Die Heiducken blickten vor sich hin und vergingen fast vor Scham. Schibil ließ die Kaufleute ungeschoren weiterziehen, er gab ihnen noch ein Stück das Geleit und rief ihnen nach, sie sollten Rada von ihm grüßen. Seine Gesellen sagten kein Wort und wagten nicht, ihm in die Augen zu sehen. Als sie am Abend in die Berge zurückkehrten, zu den Adlerhorsten auf den Blauen Steinen, und Schibil sich um Schlafen niederlegte, blieben sie am Feuer sitzen und dielten Rat. Der Berg war immer derselbe, ihr Unterschlupf war sicher. Dennoch waren sie unruhig und blickten scheu um sich. Kläffte ein Fuchs, so glaubten sie, ein Mensch huste; knackte ein dürrer Zweig, so dachten sie, es komme jemand. Immer enger rückten sie zusammen und beobachteten den schlafenden Schibil, der ächzte, sich herumwarf und im Traum sprach. Schließlich erhoben sie sich und rüsteten zum Aufbruch. Sie töteten Schibil nicht, doch sie flohen vor ihm wie vor einem Pestkranken. Schibil blieb allein. Und das Geld aus den Schatzkammern des Sultans, die Ringe, die er von den Fingern so vieler Toter und Lebender gezogen hatte, das Gold und das Silber aus Kirchen und Klöstern - der ganze Schatz, den er gehortet in Felsenhöhlen und Baumstämmen verborgen hatte, strömte fortan in das Haus des Schulzen - Geschenke für Rada, kostbare Angebinde für jeden Gruß, den sie ihm sandte. Und siehe da - eines Tages erhielt er eine Nachricht, die ihn vollends verwirrte: Rada ließ ihm sagen, er solle ins Dorf kommen, ihr Vater werde ihnen beiden seinen Segen geben. Murad Beg verzeihe ihm und schicke zum Zeichen, daß sein Wort wahr sei, einen Bernsteinrosenkranz vom Heiligen Grabe. Lange sann Schibil nach, ob man ihn etwa in eine Falle locken wolle. Alles, was er besessen, hatte er bereits hingegeben. Der Wald war nun tiefgrün, war üppiger und dunkler geworden; hohes Gras bedeckte die Fluren; die Pfingstrosen und die Johannisblumen blühten; aus den Tälern stieg der Duft des Flieders und der Linden auf. Und als in den Schluchten das Röhren des Hirsches dröhnte und im Alten Wald die Tauben gurrten, da dünkte Schibil die Büchse zu schwer, und zu hart erschien ihm der Stein, auf den er abends sein Haupt bettete. Er konnte es nicht länger ertragen und machte sich auf den Weg nach dem Dorf. Als er die Blauen Steine verließ, war es Mittag; als er von der Straße zurückblickte, waren die Gipfel von der untergehenden Sonne gerötet. Aber vor den schroffen, weißen Wänden kreisten noch immer die Adler, Raubvögel, die an Aas gewöhnt waren und oft, auf einem Felsen hockend, ihre Schnäbel in Menschenfleisch schlugen. Nun dämmerte es. In die Täler senkte sich blauer Nebel; über die Hügel krochen lange Schatten. Der Berg hatte sich niedergekauert, still, nachdenklich, als sähe er Schibil nach und fragte ihn: Wohin? Dem jungen Heiducken wurde das Herz schwer, der Zweifel begann wie ein Wurm an ihm zu nagen. Er setzte sich auf einen Stein und versank in Gedanken. Alles ließ er sich durch den Sinn gehen, alles überdachte er. Als er endlich hochschaute, war der Mond schon aufgegangen. Jetzt erblickte Schibil eine andere Welt: Anders war der Berg geworden - breit ausladend, eine blankgeschliffene Mauer, von weißen Schleiern umhüllt. In schwarze Schatten duckten sich die Wälder, Kühle wehte von den Fluren, milchiger Nebel schob sich über sie hin und wand sich auf ihnen wie ein Drache. In der Dunkelheit leuchtete ein Glühwürmchen auf, schrieb mit feurigen Strichen ein Zeichen, ein geheimes Wort, und erlosch wieder. Tief unten im Tale sang etwas - war es der Fluß? - sang so leise, so zart... Schibil starrte grübelnd vor sich hin. In seinen Augen brach sich der Schein des Mondes und zeichnete kurze, gelbe Striche; sie funkelten und flössen zu einem verschwommenen Bild zusammen, das bald aufleuchtete, bald verschwand. Aber Schibil erkannte deutlich zwei Augen, die ihn ansahen, und ein Lächeln, das ihn lockte. Er stand auf, er folgte diesen Augen, diesem Lächeln und wandte sich nicht mehr um. Drei vorsichtige Schläge an die Tür, hastiges Flüstern: "Ich bin's, Mustafa." Ihm wird geöffnet, er tritt in sein Vaterhaus. Auf dem Herd brennt ein Feuer, Schatten spielen an den Wänden, huschen über die Kolben seiner Pistolen; auf dem Futteral und den Beschlägen der Pulvertasche spiegelt sich das Licht. Groß und stattlich, wie Schibil war, erschien das Haus zu klein für ihn. Er begegnete dem Blick seiner Mutter und verstand die Unruhe, die sie folterte. "Mustafa", sagte sie, "warum bist du gekommen? Gehst du dorthin?" "Ja, ich gehe." "Wann?" "Morgen." Die alte Frau kannte ihren Sohn und wußte, daß es sinnlos war, zu widersprechen oder ihm abzuraten. Sie setzte sich ans Feuer, schlang die Hände um ihre Knie, neigte den Kopf und hub an: "Mustara, seit drei Tagen gießen die Schergen Kugeln, sie schleifen ihre Säbel und prüfen mit den Fingern, ob sie scharf sind. Wenn sie ein Haar darauf fallen lassen, so wird es zerschnitten. Sie zwirbeln die Schnurrbärte und schauen hierher... Mustafa, Unheil wird geschehen." Schibil wandte sich um und sah sie an, aber sein Blick verriet nicht, ob er sie gehört und verstanden hatte. Da sank sie in sich zusammen und sagte nichts mehr. Schibil aber schnallte den Gurt los, legte die Pistolen mit den Goldgriffen, die Dolche mit den verzierten Knäufen, die silberbeschlagene Patronentasche ab - all das war hinfort eine überflüssige Bürde für ihn.
In der Schenke am Kirchplatz sitzen am offenen Fenster Murad Beg und der Schulze Weliko. Der Hauptmann ist finster; er schweigt und saugt nachdenklich an seiner langen Pfeife. Der Schulze aber ist fröhlich; er läuft in der Stube hin und her, daß der Boden der weiten Pluderhose wippt; von Zeit zu Zeit zieht er seine große, runde Uhr aus dem buntseidenen Leibgurt, befragt sie und steckt sie wieder ein. Dann reibt er sich die Hände und sagt: "Alles in Ordnung, Beg Effendi, sei unbesorgt! Der Wolf ist schon in der Falle!" Vor dem Hauptmann liegen zwei Taschentücher, ein weißes und ein rotes, die verabredeten Zeichen für die lauernden Schergen. Schwenkt Murad Beg das weiße Tuch aus dem Fenster, so bedeutet das Gnade; schwenkt er das rote, so heißt das Tod. Die beiden Männer warten und spähen immer wieder auf die Straße. Sie ist leer. Weder ist Rada an der Tür erschienen, noch läßt sich Mustafa blicken. Weliko hält es nicht aus und läuft nach Hause. "Nun?" fragt der Hauptmann, als der Schulze zurückkehrt. "Alles in Ordnung; sie hat ihr Festkleid angelegt: rotes Seidenmieder, blauer Atlasrock - alles genau wie an dem Tag, als wir sie in die Berge schickten. Na, sie ist eben eine Frau. Jetzt betrachtet sie sich im Spiegel, färbt ihre Augenbrauen und lacht..." "Was gibt's da zu lachen?" fragt Murad Beg ärgerlich. "Weiß sie nicht, was geschehen soll?" "Doch, sie weiß es! Wie soll sie es nicht wissen?" "Hast du ihr alles gesagt?" "Ja... das heißt... eigentlich... n-nein... Alles hab' ich ihr nicht gesagt, es geht ja nicht... Aber ja! Alles habe ich ihr gesagt, alles, Herr, sei ohne Sorge! Ich versichere dir, es ist alles in Ordnung." Eine Stunde vergeht. Niemand kommt. Da läuft Weliko zum zweitenmal nach Hause, bleibt länger aus, kehrt endlich zurück. "Nun?" fragt der Hauptmann. "Ach, jetzt gibt's wieder was Neues. Sie weint. Seine Mutter, die alte Hexe, ist bei ihr gewesen. Hätte ich die nur getroffen, ich hätte ihr heimgeleuchtet! Sie ist also da gewesen, Herr, und hat ihr Gott weiß was vorgeschwatzt. Jetzt ringt Rada die Hände und jammert: ,Ich lasse nicht zu, daß ihm auch nur ein Haar gekrümmt wird. Ich gehe zu ihm, ich fliehe mit ihm in die Berge!' Oh, diese Frauen! So sind sie. Na ja. Ich habe alles wieder in Ordnung gebracht. Sie kommt heraus. Gleich wirst du sie an der Tür sehen." Murad Beg streicht sich den Bart und schweigt; blaue Rauchringe biegen und winden sich um sein Haupt. Sieh da! Rada steht an der Pforte, Mustafa kommt die Straße herauf! Murad Beg und Weliko laufen ans Fenster, verbergen sich hinter dem Vorhang, spähen mit verhaltenem Atem. Mustafa geht mitten auf der Straße. Sonnenschein liegt auf Dächern und Obstbäumen; in der Ferne ragen die Berge auf, wo Schibil König war. Er trägt keine Waffen. Aber wie prächtig ist er angetan! Ein Gewand von blauem Tuch, das Goldschnüre und Goldstickerei zieren. Groß und schlank ist er, ein wenig abgemagert, ein wenig sonnverbrannt, aber schön und stolz! In den Händen hält er einen Rosenkranz aus Bernstein und eine rote Nelke - den Rosenkranz vom Hauptmann, die Nelke von Rada. Er ist nah herangekommen, erblickt Rada, sieht sie an und lächelt. Murad Beg knetet seinen weißen Bart und murmelt: "Welch ein Held! Welch ein schöner Bursche!" "Das Tuch, Herr, das Tuch!" ruft Weliko. "Welch ein Held!" wiederholt der Hauptmann, in den Anblick versunken. "Welch ein schöner Bursche!"
Weliko ergreift das rote Tuch und läuft ans Fenster. Murad Beg packt seine Hand. "Nein, nein! So ein Mensch darf nicht sterben!" "Und meine Tochter? Meine Ehre?" schreit Weliko, reißt sich los und schwenkt das rote Tuch. Die Büchsen knattern, die Fensterscheiben klirren, die Häuser schwanken, es ist, als sei schwarzer Schatten auf die Erde gefallen. Schibil bleibt stehen - furchtbar und schön. Er reißt den Rosenkranz in Stücke, die Nelke aber wirft er nicht fort; er verschränkt die Arme und wartet. Im Augenblick laden die Schergen ihre Gewehre neu. Ein durchdringender Schrei gellt vom unteren Dorfende herauf. Schibil rührt sich nicht. Da, ein zweiter Schrei vom Tor des Schulzen Weliko! Schibil wendet sich um: Es ist Rada. Sie läuft auf ihn zu und streckt die Arme aus, als wollte sie ihn schützen. Er breitet die Arme aus, als wollte er sie umfangen. Und wieder knattern die Gewehre. Schibil fällt vornüber, aufs Gesicht, wälzt sich auf den Rücken, neben ihm sinkt Rada zu Boden. Dann wird es still. Die Sonne brennt auf die Pflastersteine. Wie ein Blutfleck leuchtet zwischen den beiden Toten die rote Nelke. Am Fenster der Schenke schwenkt jemand verzweifelt ein weißes Tuch.
* Siehe Worterklärungen am Schluß des Buches.
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